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Amüsantes und Wissenswertes 
Helmut Fürsch
 
Marienkäfer (Coccinelliden) gehören zu den auffälligsten und beliebtesten Insekten. Sie sind mit fast 100 Arten in Mitteleuropa verbreitet. Seit jeher fasziniert der Polymorphismus, das heißt die Verschiedenartigkeit der Färbung, besonders bekannt vom einheimischen Zweipunkt (Adalia bipunctata) und Zehnpunkt (Adalia decempunctata). Dies gibt Anlass zu Verwechslungen. Andererseits sind die meisten Arten so klein und einförmig, dass deren Bestimmung große Schwierigkeiten bereitet. Überwinterte Weibchen des Siebenpunkts (Coccinella septempunctata) legen Ende April, Anfang Mai etwa 400 Eier in Portionen von 10-40 Stück ab. Schon nach 5-8 tagen schlüpfen die Larven,die sich in 1-2 Monaten vier mal häuten und gierig nach Pflanzenläusen sind. Nach 6-9 Tagen Puppenruhe schlüpfen die Käferchen und machen sich sogleich über Blattläuse her. Diese 2. Generation überwintert. Normaler weise leben Marienkäfer also höchstens ein Jahr.
Der englische Genetiker Michael Majerus wollte über die britischen Marienkäfer alles wissen, vor allem auch, um interessante Fragen der Genetik klären zu können. Selbst in der Kenntnis der Arten gibt es Neues zu erforschen. So konnten in den vergangenen 35 Jahren in Mitteleuropa sechs für die Wissenschaft neue Marienkäferarten entdeckt werden. Dabei handelt es sich allerdings nur um ein bis wenige mm große schwarzbraune oder schwarze Käferchen. Aufregender waren die Erkenntnisse von Majerus über das Fortpflanzungsverhalten, die Parasitierung und den Erbgang. Viele seiner Ergebnisse sind verständlicherweise nicht neu und finden sich seit langem vor allem in der deutschsprachigen Literatur, andere sind durchaus spektakulär. Die Aufregendsten seien hier herausgegriffen. Die Annahme eines Supergens beim Zweipunkt war das "Ei des Kolumbus" bei der Klärung des Erbganges mancher Farbmuster, denn bei konsequenter Anwendung der Mendelschen Regeln kam es hier zu Ausreißern. Ein Supergen ist eine Gruppe verbundener Gene, die auf einem Chromosom zusammengehalten werden. Die Entdeckung des feministischen Bacteriums brachte die Lösung eines seit 1947 bekannten Sachverhalts: Der Zweipunkt weicht auffallend von der Regel ab, etwa ebenso viele Töchter wie Söhne zu zeugen. Bei bestimmten Stämmen gibt es bis zu 85% Töchter. Nach zehnjähriger Experimentierarbeit fanden Majerus und seine Mitarbeiter heraus, dass die männlich bestimmten Eier abstarben. Als Killer entpuppte sich eine neue Rickettsia-Art. Dieses Bacterium lebt nur im Cytoplasma. Angenommen, ein Zweipunktweibchen ist von diesem Bacterium befallen, so werden seine Eier, die ein X- Chromosom enthalten, von Spermien befruchtet, die zur einen Hälfte mit einem X-, zur anderen mit einem Y- Chromosom bestückt sind. Wird diese Eizelle von einem Spermium mit Y-Chromosom befruchtet, entsteht ein Männchen und das Bacterium steckt in der Sackgasse. Da Spermien kein Cytoplasma enthalten, ist für das Bacterium der Weg nach außen zur Weiterverbreitung versperrt. Es ist auf alle Fälle zum Sterben verurteilt, ob es die männliche Zygote abtötet oder nicht. Majerus fragt sich nun, ob solcher Suizid für das Bacterium Vorteile bringt. Da sich Bakterien durch Zellteilung fortpflanzen,

könnten alle Bakterien in einem Zweipunktweibchen von einem einzigen Bacterium abstammen und demnach ein Klon sein. Nachdem die Bakterien die sie ernährenden, Männchen bestimmten Zygoten töten, also Selbstmord begehen, erhöhen sie damit die Überlebenschance der Weibcheneier und so der eigenen Art. Hurst fand übrigens in russischen Zweipunktpopulationen ein anderes "männermordendes" Bacterium, nämlich eine Spiroplasma-Art.
Das Sexualleben fand bei Laien besonderes Interesse, obwohl vieles seit langem bekannt ist. Zweipunkt-Marienkäfer kopulieren, je nach Temperatur, 1 ½ bis 9 Stunden, mit bis zu 20 Partnern. Dabei werden 1 bis 3 Spermatophoren übertragen, die erste Beobachtung eines Mehrfachtransfers von Spermatophoren bei Wirbellosen. Weibchen stoßen dann die leeren Spermatophoren aus und fressen häufig deren Hüllen. Japanische Forscher berichten von ähnlichen Paarungsritualen bei Harmonia axyridis. Kurze Kopulationszeiten bei Käfern sind bekanntlich eher die Ausnahme, erinnert sei an die endlosen Paarungen bei Maikäfern. Das Team um Majerus beobachtete auch Kopulationen zwischen verschiedenen Marienkäferarten. Aus keiner dieser Verbindungen gab es Hybriden. Solches Verhalten überrascht nicht, ist dies doch auch bei anderen Tiergruppen zu beobachten, besonders bei Gefangenschaftshaltung.
Geschlechtskrankheiten bei Insekten sind absolut neu: Auf vielen Käferarten leben Milben, die sich meist nur transportieren lassen. Marienkäfermilben aber vermindern die Reproduktionsfähigkeit der Weibchen stark und werden bei der Kopula übertragen, was durch die Länge des Geschlechtsaktes und die Promiskuität der Tiere gefördert wird.
Kannibalismus ist bei so gierigen Jägern besonders bei Nahrungsknappheit kaum verwunderlich. Larven, die Eier der eigenen Art gefressen haben, leben länger, sind aktiver, laufen schneller und können deshalb auch mehr Blattläuse jagen. Interessant ist das Verhältnis zu Ameisen. Bekanntlich schützen Ameisen ihre Blattlauskolonien, indem sie Angreifer mit Ameisensäure bespritzen. Nur 4% der Coccinelliden in beschützten Blattlauskolonien konnten Läuse fressen, wogegen 56% in ungeschützten Kolonien erfolgreich waren.
Marienkäferschwärme sind nichts ungewöhnliches und seit langem beschrieben. Sie können wahrscheinlich mit Nahrungsmangel erklärt werden. In dieses Erklärungsschema passt auch die schmerzhafte Erfahrung, dass Marienkäfer uns Menschen beißen, allerdings geschieht dies nach eigenen Erfahrungen auch mitten im Sommer sogar unter Bäumen, die mit Blattläusen voll besetzt sind. Reflexbluten, zusammen mit Warnfarbe, reduziert naturgemäß die Anzahl der Coccinellidenfeinde. So vergreifen sich nur wenig Vögel an Marienkäfern. Manche Spinnen und Laufkäfer fressen sie, und Wespen greifen sie mit ihrem Stachel an. Raubwanzen saugen vor allem Puppen aus. Alle Abwehrmechanismen, so scheint es, nützen nichts gegen Parasiten. Majerus konnte als häufigste Arten eine Brackwespe (Perilitus coccinellae) und zwei Buckelfliegen (Phoridae) der Gattung Phalacrotophora als Parasiten in Puppen feststellen. 60% des Zweipunkts und bis zu 75% des Siebenpunkts waren zu Zeiten ihres Massenauftretens parasitiert. Allerdings scheint das Adalin des Zweipunkts sogar parasitische Wespen abzuschrecken.

Um diese Forschungen realisieren zu können, verstand es Majerus weite Bevölkerungskreise in England für Marienkäfer zu interessieren und vor allem die Jugend zur Mitarbeit anzuregen. Seine Ergebnisse rechtfertigten diese Anstrengungen und machen uns diese kleinen Käferchen womöglich noch interessanter.
 
 

(nach einem Bericht des Autors in Naturw. Rdsch. 49. Jahrgang Heft 7/1996)
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